Nach Langem mal wieder…

Nach wirklich länger Zeit möchte ich mich wieder diesem Blog widmen.

Dies hat zwei Gründe: Einmal schrieb mir heute eine liebe Freundin und fragte mich nach der Internetadressen meines Blogs, weil sie gern darin stöbern wollte. Außerdem hatte ich Anfang August die Chance, mit einer Reporterin der deutschen Presseagentur (I. Schipperges) über die Krankheit meines Papas zu sprechen, weil die DPA einen Artikel dazu veröffentlichen wollte. Dieses Interview hat mich tief bewegt, weil ich lange nicht mehr so intensiv über meine Gefühle und den Krankheitsverlauf meines Papas gesprochen hatte. Auch war Frau Schipperges wirklich einfühlsam und gab mir das Gefühl, gehört zu werden. Ein Ziel des Artikels sollte es sein, sie Angehörigenperspektive realistisch darzustellen und weiter über einen würdigen Umgang mit der Demenzerkrankung eines Angehörigen aufzuklären. Dies war für mich so bedeutend, weil es unser schweren Situation irgendwie einen Sinn gegeben hat, auf verquere Weise. Hier also der Link zum Artikel und einen lieben Dank an Frau Schipperges, die DPA und Spiegel Online:

http://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/alzheimer-demenz-wenn-der-vater-langsam-verschwindet-a-1167822.html

 

 

 

Loslassen

„Loslassen ist die Kunst, Vergangenes zur Ruhe zu betten und der Zukunft freien Raum zur Gestaltung zu überlassen.“ (Helga Schäferling)

Ich habe eine ganze Weile nichts geschrieben. Das hatte mehrere, für mich eigentlich positive, Gründe. Auf der einen Seite hatte ich in den letzten Wochen wirklich viel zu tun. Auf der anderen Seite hat mir das Schreiben unglaublich geholfen, mich wieder freier und leichter zu fühlen. Ich konnte viel aus den letzten 10 Jahren aufarbeiten und damit verarbeiten. Deswegen halte ich jetzt nicht mehr so sehr an der Vergangenheit fest. Ja, mein Papa von früher fehlt mir unglaublich sehr! Aber es ist ihm gegenüber nicht fair, bei jedem Besuch zu erwarten, dass er so ist wie früher. Es fühlt sich jetzt für mich besser an, ihn dort abzuholen, wo und wie er gerade ist. Gerade dadurch erkenne ich aber dann doch in manchen Momenten eben noch meinen Papa von früher wieder, was dann umso schöner und heilender ist! Durch das Loslassen kann ich mich  nun besser auf ihn einlassen, was den Umgang mit der ganzen Situation einfacher und geschmeidiger macht. Man ist nicht mehr so schnell genervt oder zu fordernd, ich kann jetzt viel ruhiger und geduldiger sein.

Ich hatte so so lange immer das Gefühl, all das, was mein Papa vergisst oder was in ihm verloren geht, festhalten zu müssen. Aber das ist eine wirklich unlösbare Aufgabe, mit der man Energie verbraucht, die an anderer Stelle sicher besser eingesetzt ist. Ich habe wieder mehr Kraft für die intensive Zeit mit meinem Papa. Aber ich habe auch mehr Kraft, Zeit für mich selbst zu investieren, ohne dabei ein schlechtes Gewissen ihm gegenüber zu haben. Was bringt es ihm, wenn ich genervt angehetzt komme, um bei ihm zu sein, obwohl ich keine Kopf in dem Moment für ihn habe? Ich glaube, es ist besser, weniger und dafür intensiverer Zeit mit meinem Papa zu verbringen, die wir beide genießen können. Ich merke mittlerweile, dass es ihm nach 1 oder 2 Stunden auch selbst zu viel wird, und er nach den festen Strukturen der Einrichtung sucht, die ihm viel Sicherheit geben. Deswegen planen wir mittlerweile keine großen Ausflüge mehr. Für unser Verständnis tun wir meinem Papa damit etwas Gutes, für ihn ist aber schnell die Überforderung groß und er fühlt sich unwohl. Ich glaube, für ihn zählt auch gar nicht, was wir unternehmen oder wo wir sind. Für ihn ist wichtig, dass wir bei ihm sind und einfach zusammen sitzen oder eine kleine Runde spazieren gehen. Damit ist er selbst ja irgendwie ein Vorbild, was das Loslassen angeht, weil weder das Gestern noch das Morgen für ihn wichtig ist, sondern nur der Moment zählt.

Hoffnung

Heute, an einem Tag, an dem die Nachrichten wieder voll von Terror, Angst und Leid sind, bekam ich zwei mal einen besorgten Anruf von meinem Papa: „Ich habe gerade Nachrichten geschaut – Es ist alles schrecklich! Ich wollte nur fragen, ob es dir gut geht. Es kann doch immer was passieren!“ So etwas rührt mich so so sehr und gibt mir Kraft für die schweren Momente! Denn es zeigt einerseits, dass mein Papa zwar vielleicht viele Fakten vergisst oder die Orientierung verliert, aber die Gefühle und Bindungen nach wie vor da sind! Das gibt mir wirklich Hoffnung! Auf der anderen Seite relativieren sich unsere Sorgen durch solche Nachrichten sehr, denn wir haben uns noch, können miteinander reden und etwas miteinander unternehmen. Mein Papa hat keine Schmerzen oder muss körperlich leiden. Das ist eigentlich so viel wert, aber man vergisst das dann im Alltag doch immer wieder, weil es trotzdem nicht einfacher wird. Es hilft aber, seinen Blick wieder darauf zu richten, was man (noch) hat und nicht darauf, was nicht (mehr) da ist!

 

Hier noch ein Link zu einer kurzen Reportage, die ich sehr gut fand:

http://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/hier-und-heute/video-ich-und-meine-alzheimer-wg-100.html

In guten, wie in schlechten Zeiten…

… in Gesundheit und Krankheit

Gestern hatten meine Eltern Hochzeitstag: sie sind jetzt 27 Jahre verheiratet. Eine lange Zeit, auf die sie beide stolz sein können! Es gab viele glückliche Zeiten und Momente für die beiden und für uns als Familie. Aber auch die schwierigen Zeiten und  eine Krankheit gehören in kleinem oder großem Ausmaß zu einer Ehe dazu. Manches kann man gemeinsam meistern, anderes muss ein Partner mehr allein tragen, als der andere.

Ich kann nur erahnen, wie es für meine Mutti sein muss, ihren Ehemann Stück für Stück an die Krankheit zu verlieren. Ich kann aber genau sagen, wie großartig sie diese Bürde trägt und wie uneigennützig und selbstlos sie dabei ihre Rolle als Ehefrau erfüllt. Sich selbst in einer Partnerschaft irgendwann nur noch zurück nehmen zu müssen ist sicher zermürbend und deprimierend. Der Partner, der einem immer den Rücken gestärkt hat und auf den man sich verlassen konnte, bricht nach und nach weg. Und trotzdem bleibt meine Mutti immer stark und stellt sich hinten an, was natürlich auch nicht auf die Dauer geht. Sie hat lange lange alles dafür getan, dass mein Papa so lang wie möglich gut und sicher bei uns zu Hause leben konnte. Sie musste sich oft über meinen Papa hinwegsetzen, um für ihn das Beste zu tun und ihn abzusichern. Sie zeigt mir und auch allen in unserem Umfeld damit jeden Tag, was es heißt eine Ehe bedingungslos und konsequent zu führen – bis zum Ende! Das ist nicht selbstverständlich und hinterlässt sicher tiefe Spuren und auch Narben. Aber ich weiß auch, dass meine Mutti es nie anders gemacht hätte, selbst wenn sie die Wahl gehabt hätte. Ich denke, am Ende hat man diese Wahl. Man kann immer seine Verantwortung in andere Hände geben und auch das wäre in Ordnung gewesen. Umso bewundernswerter ist ihre bewusste Entscheidung, sich nicht aus dieser Rolle herauszulösen, sondern sie mit ihren Konsequenzen und dem bei der Hochzeit gegebenem Versprechen zu erfüllen. Ich bewundere meine Mutti dafür sehr und sie ist damit für mich und vielleicht auch für andere ein wirklich großes Vorbild!

Große Verantwortung

„Wenn sie nicht durch irgendwelche Unübersichtlichkeiten irritiert sind, können Demenzkanke viel angenehmere Menschen sein als die Normalen. Sie wollen nie übers Ohr hauen, sie lügen nie, denn wenn sie die Unwahrheit sagen, sagen sie sie nie mit böser Absicht. Sie sind nicht nachtragend. Man fühlt sich nicht gedrängt, sich irgendwie zu produzieren, denn für sie gilt allein die menschliche Gegenwart“ (Textauszug aus: „Irre- Wir behandeln die Falschen – Unser Problem sind die Normalen“ von M.Lütz: http://www.alzheimer-oldenburg.de/rahmen.php?id=6)

Die Betreuung eines an Alzheimer erkrankten Menschen geht mit unheimlich viel Verantwortung einher. Das Problem daran bei meinem Papa war und ist, dass wir vor allem am Anfang schwer erkannten, wann er klar ist und wann seine Krankheit sein Handeln bestimmte. Mein Papa war schon immer ein charmanter und überzeugender Mensch gewesen. Dementsprechend gut konnte er seine Defizite mit netten Sprüchen oder überzeugenden Reden überspielen. Als Tochter ist es schwer zu sehen und auch schwer zu akzeptieren, dass der eigenen Vater immer weniger allein kann und dass ich ihn in vielen Momenten entmündigen und bevormunden musste, damit er keine Gefahr für sich selbst, aber auch für andere darstellt. Er hatte immer weniger einen Blick für Gefahren und auch keine Einschätzung mehr über seine eigenen Fähigkeiten.

Ein erster großer und harter Schritt war es, ihm die Fahrerlaubnis wegzunehmen. Er lasse sich nichts sagen, er kann doch noch gut fahren und wir würden ihn damit so einschränken. Es ist hart, sich so etwas sagen zu lassen! Zum Glück standen und stehen meine Mutti und ich bei diesen Entscheidungen immer zusammen, sodass es zumindest etwas leichter fiel, konsequent zu bleiben. Eine überfahrene rote Ampel und einmal fast 2 Tage Auto Suchen reichten uns dafür auch aus!

Auch mussten wir nach und nach im Haushalt schauen, was eine Gefahr darstellen könnte. So schlossen wir zum Bespiel Gartengeräte wie die Heckenschere und den Rasenmäher weg und musste am Ende jeden Tag, wenn wir das Haus verließen, den Herd abklemmen und den Sicherungskasten abschließen. Genauso ein Problem, welches wir bis heute auch nicht zu 100% lösen konnten ist, dass man Papa viel und gerne spazieren geht, dabei aber manchmal kein Zeit-, Hunger -, oder Durstgefühl mehr hat oder auch den Weg nicht mehr nach Hause findet. Dies ist die größte Schwierigkeit! Man kann einen Menschen nicht einsperren und das kam  für uns auch nie in Frage. So versuchten wir ihm zumindest immer einzubläuen, sein Handy mitzunehmen. Ein paar Suchaktionen auch mit Hilfe der Polizei, konnten wir aber trotzdem nicht verhindern. Aber wie soll man sich dabei schon fühlen? Es bricht einem das Herz, solche Maßnahmen ergreifen zu müssen. Auf der anderen Seite hatten wir natürlich auch große Angst um Papa. An manchen Tagen lastete diese Verantwortung wirklich schwer auf meinen Schultern, weil man irgendwann gar nicht mehr so weit um die Ecke denken kann, sodass ja trotzdem immer was passieren könnte. So richtig hat man also keine ruhige Minute mehr, egal ob man zu Hause ist oder nicht.

Auch der Umgang mit Geld wurde immer kritischer. Nachdem mein Papa die Pin-Nummer von seiner EC-Karte auf die Karte selbst drauf geschrieben hatte, mussten wir ihm auch diese wegnehmen und ihn so noch mehr entmündigen. Auch Bargeld konnten wir ihm immer nur noch relativ wenig überlassen, da es oft eben einfach weg war. Es war furchtbar! Man fragt sich dann, ob das alles wirklich wahr oder nur ein Film ist und zweifelt manchmal daran, ob man wirklich gerade das Richtige tut. Es ist immer ein Hin und Her zwischen unendlichen Mitleid und Traurigkeit und aber auch dem Wissen, dass es nicht anders geht.  Dazu kam dann natürlich auch die Wut von meinem Papa, die wir mit voller Wucht abbekamen und die ich oft so gut verstehen konnte! So kommt es, dass ich mich mit Anfang 20 über seinen Papa stellen und die „Erwachsene“ sein musste,  obwohl ich in dem Alter ja eigentlich noch mit meiner eigenen Lebensplanung beschäftigt war. Die Verantwortung war und ist bis heute an manchen Tagen für mich einfach zu groß, aber es bleibt mir nichts anderes übrig als sie trotzdem zu tragen. Mein Papa kann nicht mehr auf sich selbst aufpassen, da müssen andere für ihn tun! Eine große Erleichterung ist natürlich, dass er in einer speziellen Einrichtung lebt. Dort ist eine Rund – um – die – Uhr Betreuung garantiert, die meine Mutti und ich mit unserem normalen Alltag, wo man Geld verdienen, ein Sozialleben und vor allem ein eigenes Leben haben DARF, nicht leisten könnten. Hinzu kommt, dass meinem Papa allein durch die in der Einrichtung vorgegeben immer gleiche Struktur schon viel Sicherheit gegeben wird, welche wir ihm auch nicht bieten könnten. So konnten wir also schon viel Verantwortung in andere wertvolle Hände geben und trotzdem ist es oft noch zu viel für mich. Wahrscheinlich, weil es schon allein biologisch beziehungsweise evolutionär erst in einem viel späteren Lebensabschnitt ersichtlicher und „normaler“ wird, dass sich die Verantwortung der Eltern für ihre Kinder umdreht und die Kinder für ihre Eltern sorgen.

Trotz allem möchte ich mein Leben unter keinen Umständen gegen ein anderes eintauschen! Ich bin überzeugt davon, dass es irgendwie so vorgesehen ist. Sicherlich könnte ich mich mehr herausziehen und mein Leben weiter weg und mehr für mich leben. Doch das könnte ich nicht mit mir vereinbaren. Diese Verantwortung müssen ich und auch meine Mutti, sie vielleicht auf eine andere Art, tragen. Denn wir als Ehefrau und Tochter kennen meinen Papa, denke ich, mit am Besten und wissen, was gut und wichtig für ihn ist. Er kann auf sich selbst nicht mehr aufpassen, deswegen müssen wir es umso mehr tun.

Erinnerungen – Das, was bleibt

Jeden Tag eine kleine Überraschung

Als Kind war für mich fast jeder Morgen, jedes erste „In Die Küche kommen“ ein bisschen aufregend. Denn fast jeden Tag lag auf meinem Platz am Küchentisch unter einer kleinen Schüssel versteckt, eine kleine Überraschung von meinem Papa für mich. Mal war es ein Überraschungsei, mal Gummibärchen, manchmal aber auch ein neues T-shirt oder neue Fahrradhandschuhe. Ich glaube, das ist das größte, was ich von meinem Papa gelernt habe: Es anderen Menschen mit kleinen Dingen schön machen und zu wissen, was anderen gefällt. Bis heute hat er ein unglaubliches Gefühl dafür, wie es anderen geht und wie man mit wenigen Worten erreichen kann, dass es jemandem besser geht. Von ihm habe ich gelernt, dass es nicht viel braucht, um die Welt etwas schöner zu machen.

Gemeinsamer Sport

Mein Papa war ja Sportlehrer und auch in seiner Freizeit spielte Sport eine fast zu große Rolle. Trotzdem erinnere ich mich gern an das gemeinsame Joggen im Park, an waghalsige schwarze Skiabfahrten und an gemütliche Langlauftouren, bei denen er mich hinter sich her zog, wenn ich nicht mehr konnte. Dabei hatte mein Papa immer einen großen Bezug zur Natur, den er auch an mich weiter gab und einen Blick für die schönen kleinen Dinge, wie einen schönen Vogel oder eine schöne Blume.

Zelten in Zechlin

In den Sommerferien fuhren mein Papa und ich ein paar Mal Zelten nach Zechlin, an der Mecklenburgischen Seenplatte. Schon die Vorbereitungen dafür waren immer ein Wenig aufregend, weil mein Papa bei sowas immer sehr unorganisiert war… Die Urlaube dort waren aber immer wirklich toll! Mit Boot, Fahrrad und Zelt waren wir zufrieden und glücklich. Dort spielten wir Volleyball, fuhren mit dem Rad einkaufen und kochten uns abends Nudeln auf dem Gaskocher.

Diese und noch viele andere kleine Erinnerungen geben mir immer viel Kraft und erinnern mich daran, dass mein Papa immer für mich da war, mir jeden Wunsch erfüllt hat und immer nur das Beste für mich wollte. In diesem alltäglichen Wahnsinn vergisst man das viel öfter, als man es sollte, weil man in vielen Situationen nur noch wütend sein kann und das dann auf den Menschen projiziert, der ja aber rein gar nichts dafür kann. Viel eher als die Meisten muss ich für einen Elternteil da sein und mit entscheiden, was das Beste für meinen Papa ist. Dies überfordert mich oft, aber er hat es wirklich verdient, dass man sich um ihn sehr sehr kümmert und sich Gedanken macht, wie es weiter gehen kann. Gerade in dieser Situation darf man die Frage nach Würde und Anerkennung nie aus den Augen verlieren!

Der Anfang

„Liebe mich dann, wenn ich es am wenigsten verdiene – dann brauche ich es am meisten!“

Vor jetzt schon 10 Jahren ging es irgendwie los. Mein Papa war seit ein paar Jahren in Rente, gab aber noch Nordic Walking Kurse und arbeitete als Vertretung manchmal noch als Sportlehrer. Es waren am Anfang relativ kleine Sachen: Verräumte Gegenstände, vom Zaun gebrochene Streits usw. Als dann aber immer öfter größere Summen Geld weg kamen, mein Papa fast nur noch wie gelähmt zu Hause saß und auch seine Kurse nicht mehr organisieren konnte, wurde es beängstigend. Ich dachte: er ist vielleicht Spiel – oder Alkoholsüchtig. Wir fragten oft: Was ist denn nur mit dir los? Ernteten aber nur patzige Antworten. Ich erkannte meinen Papa, der sonst gerade mir gegenüber eigentlich nie wütend oder böse wurde, nicht wieder! Es zog mir eigentlich damals schon den Boden unter den Füßen weg. Ich war vor der Pubertät immer ein „Papa-Kind“ gewesen und wurde sehr von ihm verwöhnt. Aber auf einmal hatte ich das Gefühl, von ihm nicht mehr geliebt und wahrgenommen zu werden. Ich war damals ja gerade mal 15, dementsprechend konnte ich damit wirklich nicht umgehen! Zum Glück ist meine Mama sehr rigoros und handlungsfähig in solchen Situationen! Sie schickte meinen Papa zu einem Neurologen, der aber nach nur 5 Minuten Gespräch sagte, es sei alles normal, was wir nicht glauben konnten. Deswegen gingen wir noch zu einem anderen Arzt, welcher bis heute meinen Papa behandelt. Er nahm sich Zeit und machte viele verschiedene Test.

Dann bekamen wir die Diagnose: Alzheimer im Anfangsstadium…

Das steht dann da erstmal so da, aber was macht man damit? Man weiß nicht, was auf einen zukommt und was die nächsten Schritte sind. Es wurde zum Glück wirklich sehr früh erkannt. So konnte der Verlauf mit Medikamenten wirklich sehr verlangsamt werden und auch wir konnten uns nach und nach auf die neue Situation und auf die neuen Bedürfnisse von Papa, aber auch von uns, einstellen. Im Nachhinein muss ich aber sagen, dass ich die Zeit, die mir damals noch mit meinem Papa geblieben wäre, besser hätte nutzen können und sollen. Nur mit 15, 16, 17 Jahren realisiert man das einfach nicht und ist oft eben genervter, als man hätte sein sollen. In diesem Alter ist es, finde ich, auch einfach noch nicht dran, dass man sich so zurücknehmen und sich auf einen Elternteil so einstellen muss. Trotzdem bereue ich es, kann es aber leider nicht mehr ändern. Hinterher ist man ja immer schlauer…

Nach und nach kamen dann aber doch immer mal Schübe. Zum Beispiel ein „geklautes Auto“, als mein Papa einfach nicht mehr wusste, wo er es abgestellt hatte und ich mit ihm und einer Freundin zusammen bei 35 Grad stundenlang suchen mussten und es trotzdem nicht fanden. Auch wurde er mehr und mehr orientierungsloser und fand sich in neuen Umgebungen, zum Beispiel in Urlauben, nicht mehr zurecht. Neben diesen offensichtlichen Symptomen war es aber vor allem der schleichende Persönlichkeitswandel, der mir sehr zusetze. Mein Papa war früher ein Mensch mit so viel Energie, Lebenslust und Ideen gewesen, wovon aber immer weniger zu spüren war. Er verbrachte jetzt eigentlich den ganzen Tag zu Hause, ohne dort aber wirklich etwas zu tun, den Garten zu pflegen zum Beispiel. Dies war, glaube ich, gerade für meine Mutti echt schwer, weil sie ja noch normal arbeiten ging und es oft nicht glauben konnte, dass jemand den ganzen Tag Zeit hat und daraus aber nichts macht. Dabei konnte es mein Papa schon einfach nicht mehr, weil er gar nicht mehr wusste, wo und wie er es hätte anpacken können. Dies ist eben das heimtückische an dieser Krankheit, sie ist so vielschichtig und komplex in ihren Auswirkungen, dass man nicht weiß wo es anfängt und wo das alles noch enden soll. Trotzdem ging es, wie gesagt, aber viele Jahre noch recht gut auch zu Hause. Doch vor jetzt 2 Jahren kam ich nach 8 Wochen Auslandsaufenthalt wieder zurück zu meinem Eltern und realisierte: Es geht zu Hause nicht mehr! Wenn man so nah dran ist und eine Person jeden Tag sieht, erkennt man vieles doch nicht und sieht vieles als „normal“ an. Nach diesen 8 Wochen Abstand waren mir die Defizite meines Papas und die ganze Situation so bewusst, dass es mich nochmal ziemlich umgehauen hat! Er war 24h unruhig, schlief kaum noch und räumte und kramte den ganzen Tag. Dementsprechend ging es auch meiner Mutti, die jedes Mal, wenn er nachts aufstand, mit aufstehen musste. Man konnte nie wissen, ob er vielleicht doch nochmal „spazieren“ ging oder sowas. Wir waren eigentlich nur noch überfordert. Es dauerte dann aber noch über ein halbes Jahr, bis wir den nächsten Schritt wirklich gehen konnten. Mein Papa ging da schon 3 Tage in der Woche in eine Tagespflege, was zumindest etwas half. Aber die Entscheidung, den Ehemann beziehungsweise Papa nicht mehr zu Hause wohnen lassen zu können ist glaube ich die schlimmste überhaupt! Es zerbricht dabei etwas in einem, was sich auch nicht wieder reparieren lässt. Ein Stück weit wurde uns die Entscheidung in dem Sinne abgenommen, dass mein Papa vor sich selbst nicht mehr sicher war: An einem Abend kam ich in eine total stickende und verqualmte Küche und mein Papa saß mittendrin und las Zeitung. Er hatte einen Topf auf die heiße Herdplatte gestellt mit irgendwas festem drin, aber keinem Wasser…. Wäre dies passiert und wir wären erst 5 Stunden später nach Hause gekommen, hätten wir uns das nie verzeihen können. So ist mein Papa nun seit ein bisschen mehr als einem Jahr in einer speziellen Einrichtung für Demenzerkrankte und trotzdem ist die Situation für uns alle die Beste, die wir gerade haben können. Es nimmt unheimlich viel Druck von einem, zu wissen, dass mein Papa versorgt und sicher ist! Ich fahre trotzdem oft hin, aber kann mich dann (meistens) zu 100% auf ihn einlassen, ohne mich um die Grundbedürfnisse kümmern zu müssen. Sicher gibt es einige Stimmen, die diesen Schritt nicht verstehen: einen Angehörigen abschieben, ihn nicht mehr haben wollen. Ja, sowas lässt sich von außen einfach sagen. Aber meinem Papa tut es auch nicht gut, wenn ich oder wir immer nur gestresst und angespannt sind und sich dies ja auch auf ihn überträgt. Er kann ja nicht verstehen, warum, und würde sich immer fragen, was er denn wieder falsch gemacht hat. Dabei ist er krank und kann einfach nichts dafür!

 

Erste Worte

Hey, ich bin  25 Jahre alt, studiere Soziale Arbeit und arbeite nebenbei schon halbtags. Gemeinsam mit meiner Mutti wohne ich in einem großen Haus mit einem traumhaften Ausblick. Ich habe ein schönes und ausgefülltes Leben mit meinem Freund, tollen Freunden, meiner kleinen Mietz, einer Arbeit, die mir Spaß macht und vielen Reisen.

Trotzdem gibt es da etwas, was alles anders macht: Mein Papa hat Alzheimer.

Eigentlich ist das noch kein Thema für jemanden mit Mitte 20. Höchstens die Großeltern haben das oder die Bekannten von Großeltern. Da meine Eltern aber ein Altersunterschied von 30 Jahren trennt und meine Papa dementsprechend schon deutlich älter ist als andere Eltern sieht es bei mir nun so aus.

Aber warum darüber einen Blog schreiben? Als aller erstes ist es keine einfache Situation. Sie begleitet einen jeden Tag und verändert irgendwie alles: Das eigene Denken, die Sicht auf viele Dinge, das Verantwortungsbewusstsein und die Unbeschwertheit, die man sich eigentlich in meinem Alter wünscht. Allein für das Alles braucht denke ich jeder in schwierigen Situationen ein Ventil, eine Möglichkeit, damit umzugehen und fertig zu werden. Darüber hinaus vermitteln einem die Medien in den letzten Jahren, seit die Krankheit Alzheimer immer populärer wurde, mit Filmen wie Honig im Kopf oder lustigen Alzheimer-Omis in Nebenrollen wie im Film Paulette das Gefühl, man könne mitreden und wüsste, was die Krankheit ist und was sie bedeutet. Somit weiß nun also jeder genausten Bescheid und kann genau beurteilen, wie man damit umzugehen hat. Es ist doch nicht so wild und normal, dass man irgendwann nicht mehr genau weiß, was am Vortag war und nur ein bisschen nervig, wenn die Omi immer wieder das selbe fragt….

Ich denke dabei dann, dass man etwas eigentlich nur wirklich beurteilen kann, wenn man selbst mitten drin steckt. Dazu kommt bei dieser Krankheit, dass sie von der Symptomatik und vom Verlauf her so unterschiedlich ist, dass auch die Fälle jeweils immer wieder anders sind. Der eine erkennt vielleicht schon recht schnell seine Frau und seine Kinder nicht mehr, findet aber bis zum Ende überall hin und auch wieder nach Hause. Der andere weiß bis zum Schluss noch alle Namen seiner ehemaligen Schüler, findet aber auch nach 3 Jahre im Pflegeheim nicht die Toilette nebenan. Manche werden depressiv, andere aggressiv, wieder andere beides oder noch viel mehr. Hinzu zu den  unterschiedlichen Auswirkungen und Verläufen kommen natürlich noch die jeweiligen einzigartigen Persönlichkeiten hinzu. Das alles zusammen macht den komplexen Charakter dieser Krankheit aus, welcher es so schwer macht, sich darauf einzustellen und damit umzugehen. Es ist ein schleichendes Abschiednehmen, manchmal nicht das Ende mit Schrecken, sondern ein Schrecken ohne Ende, bei dem eigentlich jeden Tag wieder etwas Unkontrollierbares passieren kann. Ich möchte damit nichts unnötig dramatisieren, aber eben zeigen, dass man diese Krankheit, die Gefühle der Betroffenen und der Angehörigen einfach nicht Pauschalisieren kann und auch nicht darf. Zuhören und einfach da sein hilft ja eigentlich immer mehr als leere Worte. Aber natürlich neigen wir in solchen Situationen immer dazu, etwas sagen zu wollen, da sich Sprachlosigkeit und Machtlosigkeit so schwer aushalten lässt. Auch als Tochter ist man machtlos und oft auch sprachlos, wenn man seinem Papa am Ende fast nur dabei zuschauen kann, wie es bergab geht. Ich möchte hier nicht an erster Stelle aufklären, jammern oder Aufmerksamkeit erreichen. Viel eher möchte ich einfach nur schreiben und auch meinem Papa seine Würde erhalten und ihn davor schützen, selbst in Vergessenheit zu geraten. Sein Kopf wird vielleicht immer leerer, aber wir um ihn herum dürfen dafür umso weniger vergessen, was er in seinem Leben geleistet  und uns, vor allem mir, gegeben hat.